Die Byssus-Fäden der Miesmuscheln kleben mit erstaunlicher Kraft an sämtlichen Oberflächen. Forscher haben nun herausgefunden, wie und wo die Muscheln den Superklebstoff dafür herstellen. Demnach handelt es sich um einen Zweikomponentenkleber aus einer Aminosäure und Metallionen, welche die Muschel aus dem Wasser zieht. Beides lagert sie zunächst in getrennten Kompartimenten, bevor sie sie für den Einsatz mischt, wie das Team im Fachmagazin „Nature“ berichtet.
Schon lange versuchen Wissenschaftler den extrem stark haftenden Kleber der Miesmuscheln nachzuahmen. Denn anders als gängige menschengemachte Klebstoffe haftet dieser natürliche Kleber auf nahezu allen Oberflächen und entfaltet selbst unter Wasser eine enorme Haftkraft. Könnte man dieses Rezept der Natur übertragen, könnte es beispielsweise dabei helfen, Zahnimplantate einzusetzen oder gebrochene Knochen wieder zusammenzukleben.
Bekannt ist bereits, dass die Aminosäure 3,4-Dihydroxyphenylalanin, kurz DOPA, ein entscheidender Bestandteil des Klebers ist. Wissenschaftlern der TU Berlin ist es sogar schon gelungen, mithilfe von Darmbakterien einen muschelähnlichen Klebstoff zu entwickeln. Die genauen Vorgänge im Fuß der Miesmuscheln blieben bisher jedoch ungeklärt. Ein Forscherteam um Erstautor Tobias Priemel von der McGill University in Montreal hat diese nun genauer unter die Lupe genommen.
„Um die genauen Mechanismen zu verstehen, haben wir […] grundlegende Methoden aus den Bereichen Biochemie, Chemie und Materialwissenschaften kombiniert,“ sagt Tobias Priemel. Zum Einsatz kamen unter anderem die Röntgenfluoreszenz-Mikroskopie und die Raman-Spektroskopie. Das Team konnte so beobachten, wie der Klebstoff auf subzellulärer Ebene produziert wird.
Es zeigte sich, dass der Superkleber aus zwei Komponenten besteht, die in den Fußzellen der Muscheln miteinander vermischt werden: der Aminosäure DOPA und einer Kombination verschiedener Metallionen, die die Miesmuscheln aus dem Meerwasser ziehen. Dabei spielt offenbar Vanadium eine wichtige Rolle im Härtungsprozess des Klebstoffs, wie das Team erklärt. Das seltene Metall kann nur von sehr wenigen Lebewesen angereichert werden.
Die Analysen enthüllten auch, wie die beiden Komponenten von der Muschel gelagert und vermischt werden – zwei Prozesse, die bisher Rätsel aufgeworfen haben. Die Forscher fanden heraus, dass die Miesmuschel die Metallionen dafür in speziellen Partikeln (Metal Storage Particles, MSPs) speichert. Die Aminosäure DOPA wiederum wird in Vesikeln, kleinen Bläschen in der Zelle, gelagert. Kommt der Kleber zum Einsatz, werden die beiden Bestandteile in winzigen Kanälen, die nur einen Bruchteil eines menschlichen Haares breit sind, miteinander vermischt und an den Einsatzort transportiert.
Der so entstehende Klebstoff ist für den starken Halt der Byssus-Fäden, die die Miesmuscheln an ihrem Platz halten, verantwortlich. „Muscheln können ihren Unterwasser-Kleber innerhalb von zwei bis drei Minuten herstellen,“ sagt Seniorautor Matthew Harrington von der McGill University. „Die Kunst ist es, die richtigen Komponenten mit dem richtigen Timing und unter den richtigen Konditionen zusammenzubringen. Je mehr wir von diesem Prozess verstehen, desto besser können ihn Ingenieure später adaptieren,“ fügt Harrington hinzu. (Science, 2021; doi: 10.1126/science.abi9702)
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