Main-Taunus: Mit Klebstoff gegen Automatenknacker

2023-02-16 16:29:39 By : Ms. DAVID HUANG

Die Zahl der Sprengungen von Geldautomaten hat in den vergangenen Jahren bundesweit stark zugenommen. Doch die Banken wissen sich zu wehren.

Main-Taunus. Erst knallt es, dann heult ein Motor auf. Dazwischen liegen meist nicht mehr als fünf Minuten. Doch das Chaos, das Geldautomatensprenger hinterlassen, wenn sie mit ihren hochtourigen Karossen davonrasen, ist immens: zerstörte Foyers, einsturzgefährdete Gebäude und schwere Trümmerteile, die meterweit fliegen.

Lars Dieckmann, Pressesprecher der Taunus Sparkasse, blickt mit Sorge auf die „enorme Brutalität“ der Täter, die „Personen- und Sachschäden rücksichtslos in Kauf nehmen“. „Schlichtweg konsterniert“ sei man, sagt Christian Dose von der Frankfurter Volksbank. Erst am 3. Januar dieses Jahres war die Kooperationsfiliale von Taunus Sparkasse und Volksbank in Diedenbergen zum Ziel der Automatensprenger geworden.

Ein Fall von vielen: Die Zahl der Geldautomatensprengungen stieg in den vergangenen Jahren bundesweit stark an. So gab es laut BKA 2006 gerade einmal 16 vollendete Sprengungen und 14 Versuche. 2021 waren es schon 392 Attacken auf Geldautomaten (203 Versuche, 189 vollständige Diebstähle).

Allein: In Hessen hat die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr zumindest leicht abgenommen im Vergleich zu 2021. Demnach kam es 2022 zu 41 Taten nach 56 im gleichen Vorjahreszeitraum. Die meisten Fälle in Hessen gab es nach Angaben von LKA-Sprecherin Sophia Lugner 2022 mit neun Taten im Main-Taunus- und Hochtaunuskreis.

Immerhin 19 der 41 Taten in Hessen scheiterten 2022 entweder ganz oder die Sprengungen gelangen zwar, allerdings mussten die Täter dann wie im Fall Diedenbergen ohne Beute flüchten. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Automaten immer besser geschützt werden. Die zunehmend brachialer vorgehenden Täter, die hohen Sachschäden und die Gefahr für Unbeteiligte zwingen Polizei und Banken zum Handeln.

Lugner und ihre Kollegen vom Hessischen LKA (HLKA) gehen einen bundesweit einmaligen Weg, um Automatensprengern die Tour zu vermasseln - durch eine im Mai vergangenen Jahres gegründete Allianz mit dem Innenministerium und 15 Banken, darunter ist auch die Taunus Sparkasse. Ziel ist es, sich für Prävention zu vernetzen und zu organisieren. Zentral ist die Frage, wo das Risiko für Automatensprengungen in Hessen am höchsten ist. Eine Antwort liefert der Computer. Das Zauberwort lautet hier: „Risikoanalysetool Geldautomatenlagebild (GLB)-operativ“. Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich ein Programm, „das alle Geldautomaten, die mit qualitativen Daten - wie Standort, Fabrikat, Sicherheitsvorkehrungen - hinterlegt sind, einer Risikobewertung unterziehen und anschließend eine Wahrscheinlichkeitsprognose erstellen“ kann, erklärt Lugner. Das HLKA hätte mit einer ähnlichen Prognose-Software bereits sehr gute Erfahrungen beim Kampf gegen Einbrüche gemacht. „Auch diese inzwischen standardisierte Datenanalyse ist ein Grund, warum die Zahl der Einbrüche in Hessen von 2017 bis 2021 um mehr als 50 Prozent gesenkt werden konnte.“

Bereits über 35 Banken der „Allianz Geldautomaten“ haben dem HLKA Daten zu insgesamt circa 2700 Geldautomaten an über 1300 Standorten in Hessen zugeliefert. „Bis zum 31. Dezember 2022 konnten somit schon circa 50 Prozent aller festgestellten Standorte risikoanalysiert werden“, bilanziert Lugner.

Jeder Automatenstandort wird dazu auf einer Karte mit einer Farbe markiert, die wiederum für eine Risikoklasse steht: rot für hohes, grün für niedriges Risiko. Die rot markierten Standorte können dann etwa von der Polizei zielgerichtet überwacht werden, zum Beispiel mit regelmäßigen Polizeistreifen in der Nacht.

Auf dem Lagebild leuchten vor allem Automaten rot, die in der Nähe von großen Verkehrsachsen liegen. Denn die meist professionellen Banden wollen mit ihren hochmotorisierten Limousinen rasch über Schnellstraßen vom Tatort flüchten. Besonders gefährdet sind auch Automaten in ländlichen Regionen, in Orten mit weniger als 1000 Einwohnern. Banken, die solche Hochrisiko-Standorte haben, würden dann maßgeschneiderte Schutzmaßnahmen empfohlen, so das LKA. Dazu gehört zum Beispiel eine verbesserte Video-Überwachung oder Vernebelungstechnik, damit die Täter nach der Sprengung nichts mehr sehen können. Welche davon auch umgesetzt werden? Dazu wollen sich die meisten Banken in der Region nicht äußern. Auch Täter lesen schließlich Zeitung. Nur so viel: Die Nassauische Sparkasse (Naspa) etwa schließe die SB-Bereiche ihrer Filialen in der Zeit von 22 bis 6 Uhr, sagt Sprecherin Daniela Gramlich. Die Frankfurter Volksbank setzt ebenfalls auf den Nachtverschluss. „Außerdem reduzieren wir die Bargeldbestände in den Automaten, um den Tätern so wenige Anreize wie möglich zu bieten“, betont Volksbank-Sprecher Dose. Eine andere Möglichkeit, „Tatgelegenheiten zu reduzieren“, wie es im Polizei-Jargon heißt, ist das Geld einzufärben oder zu verkleben - und es so unbrauchbar zu machen. Dafür werden in den Automaten Patronen mit Farbe oder Klebstoff deponiert, die sich im Fall einer Sprengung entleeren.

In Schweden, Belgien und Frankreich sind Banken sogar gesetzlich verpflichtet, Tinten-Technologie einzubauen. In Deutschland liegt das noch im Ermessen des Kreditinstituts. Und Nachrüstungen sind meist sehr teuer. Die Frankfurter Volksbank etwa gibt einen siebenstelligen Betrag für Sicherheitstechnik aus - pro Jahr, teilt Pressesprecher Dose auf Anfrage mit.

Die Taunus Sparkasse will sich dagegen nicht in die Zahlen schauen lassen. Ein anderer Sparkassenverband hat aber ausgerechnet, dass neben einmaligen Nachrüstkosten pro Geldautomat beim Einsatz von Farbpatronen mit jährlichen Mehrkosten von 100 Millionen Euro für alle deutschen Sparkassen gerechnet werden müsse. Denn diese Patronen müssten auch regelmäßig nachgefüllt und gewartet werden. Und ob die Einfärbung wirklich die erwünschte abschreckende Wirkung hat, ist statistisch nicht erwiesen. Denn offenbar gibt es auch einen Schwarzmarkt für gefärbte Banknoten, etwa in Osteuropa, heißt es beim LKA. Ein Automat, der einer Sprengung sogar standhalten kann, kostet zehn Prozent mehr, das wären 2000 Euro pro Automat, teilt Wincor Nixdorf mit, der größte Hersteller von Geldautomaten in Deutschland.

All das wirkt zwar abschreckend, bietet aber natürlich auch keinen hundertprozentigen Schutz davor, dass es die Täter nicht zumindest probieren - und immensen Schaden anrichten. Und sie lernen dazu: Weil viele Automaten inzwischen eingeleitetes Gas neutralisieren können, verwenden die Kriminellen, die meist bandenmäßig organisiert sind und aus den Niederlanden kommen, nun Sprengstoff. Das erhöht die Gefahr und maximiert Schäden.

Bleibt dann nur noch die Option, gefährdete Standorte ganz zu schließen, gerade die in Mischgebäuden, wo über der Filiale noch Menschen wohnen? Die Naspa stellt zumindest solche Überlegungen an. Sprecherin Gramlich sagt: „Sicherlich wird die zunehmende Zahl von Sprengungen mit den (. . .) erheblichen Sachschäden und potenziellen Gefahren für Menschen Einfluss auf die Anzahl der Geldautomatenstandorte haben.“

Alle Banken versichern natürlich ihre Geldautomaten und das enthaltene Bargeld. Meist übersteigt der Schaden am Gebäude die Beute deutlich. Hat das wachsende Risiko Auswirkungen auf die Höhe der Versicherungsprämien? Und steigt nach einem Schadensfall etwa der Beitrag? Dazu wollte sich kein Kreditinstitut und auch kein Versicherer dezidiert äußern. In Branchenkreisen heißt es aber, dass manche Versicherungen den Banken Rabatte gewähren, wenn sie ihre Automaten etwa mit Einfärbesystemen aufrüsten. In jedem Fall können Verträge nur bei neuen Automaten oder im Schadensfall verändert werden.

Für Versicherer werden die Schäden, die Automatensprenger verursachen, zu einem immer größeren Problem. Auch wenn die Diebstahlsumme zuletzt um circa 28 Prozent gesunken ist und 2022 bei rund 1,8 Millionen Euro liegt (2021: knapp über 2,5 Millionen), so ist der Sachschaden auf mehr als 4,9 Millionen Euro angestiegen (2021: über 2,5 Millionen). Ein Geldautomat kostet allein etwa 30 000 Euro. Über 55 000 Geräte gibt es in ganz Deutschland.

Machen die Versicherungen den Banken also langsam Druck, für mehr Sicherheit zu sorgen? Aus Branchenkreisen erfuhr diese Zeitung, dass es schwierig sei, überhaupt noch neue Automaten zu versichern, wenn nicht Sicherheitstechnik verbaut ist. Und auch der Gesamtverband der Versicherer (GDV) fordert von den Banken effektiven Schutz der Automaten. Welche Maßnahmen es gibt, hat der GDV für Banken in einem „technischen Leitfaden“ zusammengefasst.